Die Gefahr des Samadhi


"Bei richtigem Samadhi ist immer Bewusstheit vorhanden,
das heißt, es besteht volle Geistesgegenwart und klares Verständnis.
Durch solch ein Samadhi entsteht Weisheit
und man kann sich nicht darin verlieren."


Samadhi ist schon eine sehr nützliche Sache, aber wenn es dem Meditierenden an Weisheit fehlt, kann es auch schädlich sein. Zusammen mit Weisheit, führt Samadhi zu Einsicht und ist deshalb sehr nützlich.

Die Gefahr für den Meditierenden liegt in der Vertiefung, Samadhi-Jhana, dem Samadhi der vertieften anhaltenden Ruhe. Dieses Samadhi bringt den totalen Frieden, und durch Frieden entsteht Glückseligkeit. Wenn Glückseligkeit entsteht, kommt leicht das Anhaften daran zustande. Der Meditierende will nichts anderes betrachten oder untersuchen, es geht ihm nur um das angenehme Gefühl des Friedens im Samadhi. Nach langer Übung der Meditation ist man sehr erfahren, und es ist einfach, Samadhi zu erreichen. Sobald man sich auf das Meditationsobjekt konzentriert, wird der Geist ruhig, und man will die vertiefte Ruhe nicht mehr verlassen, um irgend etwas zu untersuchen. Man bleibt an der Glückseligkeit hängen, und darin besteht die Gefahr für den Meditierenden.

Wir müssen Upacara Samadhi anwenden. Das heißt, wir treten in die Ruhe ein, und wenn der Geist sich in einem angemessenen, gefestigten Zustand der Ruhe befindet, kommen wir heraus und betrachten unsere äußerlichen Aktivitäten.[7] Mit ruhigem Geist die Außenwelt zu betrachten, lässt Weisheit entstehen. Das ist schwer zu verstehen, denn es handelt sich hierbei nicht um gewöhnliches Denken oder sich etwas vorzustellen. Wenn Denken vorhanden ist, mögen wir annehmen, dass der Geist sich nicht im Zustand der Ruhe befindet. Tatsächlich aber findet jetzt das Denken innerhalb der Ruhe statt. Die Betrachtung irgendwelcher Phänomene findet zwar statt, doch stört das die Ruhe des Geistes nicht. Das Denken selbst wird jetzt nämlich betrachtet, das bedeutet, wir greifen das Denken auf und untersuchen es. Das ist etwas anderes, als sich ziellosen Gedanken und Vermutungen hinzugeben. Dieser Vorgang spielt sich ab, wenn sich der Geist im Zustand der Ruhe befindet. Wir bezeichnen das als: "Bewusstheit in der Ruhe und Ruhe in der Bewusstheit". Wenn es sich nur um gewöhnliches Denken oder Vermutungen handelt, ist der Geist nicht in Frieden, sondern gestört und verwirrt. Aber ich rede nicht vom gewöhnlichen Geist, sondern von weiser Betrachtung, dem Phänomen der Entfaltung von Weisheit durch die Ruhe des Geistes.

Wir unterscheiden also richtiges und falsches Samadhi. Falsches Samadhi entsteht, wenn der Geist in den Zustand der Ruhe eintritt und überhaupt kein Bewusstsein vorhanden ist. Man könnte stundenlang einfach so dasitzen, aber man weiß nicht, wo man sich befindet oder was passiert. Man weiß überhaupt nichts. Es ist Ruhe vorhanden, aber das ist alles. Wir können das mit einem gut geschliffenen Messer vergleichen, das wir nicht zum Schneiden benutzen. Es handelt sich hierbei um eine verblendete Art von Ruhe, denn es besteht nicht viel Selbstgewahrsein. Der Meditierende denkt, er habe bereits das Ultimative erreicht, und macht sich nicht mehr die Mühe, nach etwas anderem zu schauen. Diese Art von Samadhi kann zu unserem Feind werden. Wenn das Bewusstsein von richtig und Falsch fehlt, kann sich Weisheit nicht entfalten.

Egal, welche Stufe von Ruhe erreicht wird, bei richtigem Samadhi ist immer klare Bewusstheit vorhanden, das heißt, es besteht volle Geistesgegenwart und klares Verständnis. Durch solch ein Samadhi entsteht Weisheit, und man kann sich nicht darin verlieren. Diejenigen, die Buddhismus praktizieren wollen, müssen verstehen, dass es nicht ohne diese Bewusstheit geht. Sie muss immer gegenwärtig sein, dann ist Samadhi ungefährlich.

Wie also entsteht der Nutzen durch Samadhi? Wenn richtiges Samadhi entwickelt wird, entsteht Weisheit. Wenn die Augen Formen und Farben sehen, die Ohren Klänge hören, die Nase Gerüche riecht, die Zunge Geschmäcker schmeckt, der Körper Berührungen erfährt und der Geist mentale Eindrücke erlebt - in jedem Moment im Leben, egal, was wir gerade tun -, verbleibt der Geist mit dem Wissen um die wahre Natur dieser Sinneseindrücke und folgt ihnen nicht. Ist Weisheit vorhanden, suchen wir uns unter den Dingen, die uns begegnen, keine besonderen Phänomene aus, um diesen eine bestimmte Bedeutung zu verleihen. In jedem Moment sind wir uns des Entstehens von Zufriedenheit oder Unzufriedenheit bewusst, aber lassen diese beiden Zustände los und halten sie nicht fest. Das ist die richtige Praxis, die in "jeder Stellung" (im Stehen, Gehen, Sitzen und Liegen) geübt werden sollte. "Jede Stellung" bezieht sich nicht nur auf die körperlichen Stellungen, sondern auch auf die unterschiedlichen geistigen Inhalte, denen wir mit Achtsamkeit und klarem Verständnis begegnen sollten. Einsicht oder weise Betrachtung ist der Nutzen von richtig entwickeltem Samadhi.

Wir unterscheiden zwei Arten des Friedens - den groben und den feinen. Der Frieden, der durch Samadhi entsteht, ist die grobe Art. Hier entsteht im Zustand des Friedens Glückseligkeit, und wir halten diese Glückseligkeit für den Frieden. Doch glücklich und unglücklich sind nur ein Paar in der dualen Welt der Erscheinungen, die entstehen und wieder vergehen. Wenn wir an der Glückseligkeit festhalten, gibt es kein Entkommen aus dem Samsara,[8] Glückseligkeit ist nicht Frieden, Frieden ist nicht Glückseligkeit.

Die andere Art des Friedens entsteht durch Weisheit. Hier wird nicht Glückseligkeit mit Frieden verwechselt. Wenn Glückseligkeit auftaucht, sorgt klare Bewusstheit dafür, dass es nicht zum Festhalten kommt. Der Frieden, der durch Weisheit entsteht, geht über Glückseligkeit hinaus, denn durch Weisheit wird die Unbeständigkeit von Glückseligkeit und Unglücklichsein erkannt, und das Anhaften hört auf. Der Frieden, der dadurch entsteht, ist das wahre Ziel der buddhistischen Praxis!



Fußnoten

[7] "Äußerliche Aktivitäten" bezieht sich auf alle Arten von Sinneseindrücken und steht im Kontrast zur "inneren Unaktivität" des vertieften Samadhi-Jhana, wobei der Geist sich von äußerlichen Sinneseindrücken zurückzieht.

[8] Samsara: das Rad, das sich im Kreis von Geburt und Tod dreht, verkörpert die Welt aller bedingten Phänomene, geistig und materiell.



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